Leserbilder in der Profi-Kritik: Die Bienenperspektive

Blumenbildern fehlt es vielfach am Sandkorn, das die Schönheit der Pflanze nicht in langer Weile aufgehen lässt, sondern sie erst richtig zur Geltung bringt – ein Tautropfen, eine leichte Unruhe im unscharfen Hintergrund, eine ungewöhnliche Perspektive.

Blumenbild
Leserfoto: Klick für Vollansicht (© Reto A.). – Sony DSC-P150 – 1/640s – f/5.6 – ISO 100 – 7.9mm (38mm)

Kommentar des Fotografen:

Letzte kräftige Sommerblumen – der konzentrierte Sommer. Spiel mit der Schärfe…

Semi-Profi Peter Sennhauser meint zum Bild von Reto:

Blumenphotos sind eins der häufigsten Motive von angehenden Meisterfotografen. Wers nicht glaubt, soll sich die Eingaben auf Kritik-Sites wie photo.net angucken. Auch wir haben schon eine ganze Reihe davon gekriegt. Aber Retos Aufnahme weicht vom Muster ab:

Denn abgesehen von Art/Gattung/Familie der Blume handelt es sich fast immer um das genau gleiche Bild: Bunte Blüte mit langer Brennweite von oben vor ausgewaschenem Hintergrund fotografiert.

Vielleicht liegts ja auch daran, dass mich Blumen nicht sonderlich interessieren, aber mich langweilen die Lilien, Tulpen und Orchideen meistens. Ich tendiere dazu, das auf die Bildkomposition zu schieben – denn meistens hat das Foto nebst der Blüte nichts zu bieten, und die liegt auch noch im toten Zentrum der Aufnahme.

Zwar handelt es sich bei Retos Bild nicht um eine klassische Blumenaufnahme in dem Sinne, dass er die (Sonnen?) Blume als Hauptmotiv zeigen will. Aber es gelingt ihm gewissermassen ungewollt: Diese Blüte ragt förmlich aus dem Bild heraus, das Hirn spielt den Blütenduft auf der Geruchsklaviatur an.

Mir gefällt die Aufnahme aus drei Gründen:

Die Perspektive ist wohltuend anders. Blumen sehen wir in der Regel im Garten von oben – und selbst hochgewachsene Sonnenblumen werden selten aus dieser Bienenperspektive abgelichtet.

Die Bildkomposition trägt dem Prinzip des Goldenen Schnitts Rechnung, indem das Zentrum der Blüte im Vordergrund etwa ein Drittel vom rechten Bildrand liegt, der unscharfe, bewegte Hintergrund der andern Blüten rund ein Drittel von links abdeckt und der Horizont – der tiefblaue Streifen Himmel – die Horizontale in das Verhältnis eins zu zwei bringt.

Die Farben schliesslich machen aus der Aufnahme Bildschirmhintergrund-Material: Das strahlende Gelb komplementiert das satte Blau des Himmels, das Grün der Pflanzenstämme sorgt mit einer weiteren Primärfarbe für eine farbliche Drittelung.

Bei solchen, von grossen Farbflächen lebenden, grafisch anmutenden Impressionsbildern versuche ich mir vor der Aufnahme jeweils mit zusammengekniffenen Augen ein „unscharfes“ Bild der Komposition zu machen.

Dahlien oder Sonnenblumen. Goldener SchnittDahlien oder Sonnenblumen: Farbgebung

Das gleiche habe ich hier mit zwei Verfremdungen in PaintshopPro versucht – Pinselstrich-Filter (das Bild sieht aus wie ein etwas „zahmer“ Van Gogh) – und danach die radikale Reduktion auf die Farbflächen. Ich finde, beide „Analysen“ zeigen, dass dem Fotografen hier eine gute Umsetzung gelungen ist.

Zu kritisieren gibt es durchaus auch noch was: Der Blickwinkel ist nicht ganz optimal, der Sonnenstand beinahe senkrecht. Das durch die grossen grünen Blätter scheinende Gegenlicht gefällt, aber es hätte sich vielleicht mit einer Aufnahme zu einem späteren Zeitpunkt noch verstärken lassen und die kontrastreichen Schatten in der Vordergrund-Blume etwas aufgeweicht.

Mit einem leicht nach Links verschobenen Standpunkt wäre zudem der Kopf der zweiten Blume nicht direkt „auf“ der ersten zu liegen gekommen. Ausserdem wären so die dunklen Überbleibsel eines Baums oder einer Hecke am linken Bildrand aus der Komposition verschwunden.

In der Rubrik «Bildkritik» analysieren Profi-Fotografen im Auftrag von fokussiert.com montags bis freitags jeweils ein Foto aus der Leserschaft.
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